In der Entwicklung, Planung und Bewirtschaftung von Immobilien stehen wir vor der Herausforderung, dass soziale Ziele nur schwer messbar sind. Denn anders als Baukosten und Treibhausgasemissionen lassen sich die Qualität von sozialen Kontakten oder Identität kaum in Kennzahlen ausdrücken und damit auch kaum in Standards und Zertifizierungen erfassen.
Das Wohn- und Gewerbehaus Kalkbreite (siehe unten) konnte mit einer Zielvereinbarung gemäss SIA 112/1 neue Wege aufzeigen, soziale Qualitäten messbar zu machen. Der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) hat diese Logik übernommen und ist damit führend in der Bewertung sozialer Nachhaltigkeit.
Kernthemen sozialer Nachhaltigkeit sind allgemein zugängliche Angebote von Einrichtungen, soziale Durchmischung, gesellschaftliche Prosperität, Identität und Gestaltung sowie Wohlbefinden und Gesundheit. Viele ökonomische und ökologische Effizienzansätze blenden diese Themen aus. Dabei können viele ökologische Ziele nur zusammen mit sozialer Nachhaltigkeit gelöst werden.
Das S (social) aus dem ESG schlägt eine Brücke zur Umsetzung sozial nachhaltiger Ziele, indem soziale Ziele neu eine Verbindlichkeit bekommen haben, die jede Entwicklerin und Eigentümerin betrifft. Wir erwarten im Rahmen der EU-Taxonomie folgende Ziele: menschenwürdige Arbeit, angemessener Lebensstandard und Wohlbefinden der Endverbraucher:innen, inklusive und nachhaltige Gemeinschaften und Gesellschaften, von denen vor allem das letzte die Entwicklung unserer gebauten Umwelt betrifft.
Referenzen
Soziale Nachhaltigkeit in der SIA 112/1 Nachhaltiges Bauen – Hochbau
Die SIA 112/1 Nachhaltiges Bauen – Hochbau berücksichtigt die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit und damit auch gesellschaftliche Kriterien. Sie lassen sich in zwei Gruppen einteilen: a) Kriterien des Wohlbefindens (Schall, Raumluft, Raumtemperatur, Tageslicht, etc.), die leicht messbar und traditionell auch in Standards verankert sind. Und b) alle anderen Kriterien (soziale Gerechtigkeit, soziale Kontakte, Gestaltung, Nutzbarkeit, Partizipation), die nicht leicht messbar sind. Wegen der mangelnden Messbarkeit wird die 2. Gruppe in der Praxis stiefmütterlich behandelt. Wir haben Methoden entwickelt, die dem entgegensteuern.
Weiter wird in Zukunft die Qualität des Aussenraums bezüglich seiner Nutzbarkeit eine massgebliche Rolle spielen, hier vor allem im Kontext des klimagerechten Bauens.
«Prosperität» als sozial-gesellschaftliche Dimension
In einer langfristig ausgelegten Nachhaltigkeitsstrategie für Bauten einer kantonalen Verwaltung ging es bei der Entwicklung von Szenarien darum, ein Vis-A-Vis zum Szenario Netto-Null zu entwickeln, welches die positiven Aspekte von Wachstum herausstreicht. Mit dem dafür gewählten Begriff «Prosperität» sollte das gesellschaftliche Gedeihen in den Vordergrund gestellt werden.
«Prosperitäre» Strategien sind z.B. mehr Wohnraum, mehr Aufenthaltsqualität oder mehr Bildung. Ziel ist es, Massnahmen für Netto-Null und «Prosperität» abzuwägen und zusammenzuführen.
SIA-Spurgruppe soziale Nachhaltigkeit
Die KNU möchte die Relevanz und das Potenzial der sozialen Nachhaltigkeit für die Produkte des SIA ausloten und hat deshalb eine Spurgruppe soziale Nachhaltigkeit lanciert. Die Spurgruppe ist besetzt mit Kompetenzen aus der Lehre und Forschung, Planung, Freiraumplanung, gemeinnützigen und institutionellen Bauherrschaften und der öffentlichen Hand. Die Spurgruppe prüft die Notwendigkeit einer Wegleitung als niederschwelliges SIA-Produkt. Aus der Wegleitung können dann später auch Merkblätter und Normen entstehen.
Jörg Lamster als Teil der KNU hat die Spurgruppe aufgebaut und leitet diese.